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Inhalt:

2.1 Sachkompetenz
2.2 Methodenkompetenz
2.3 Orientierungskompetenz

 

2.1 Sachkompetenz

2.1.1 „Inselbildung“

Zweifellos ist der erste Aufbau eines Grundstockes an quellenmäßig belegbarem Wissen über die Vergangenheit in der Grundschule eine wichtige Aufgabe. Die Kinder sollen sich mit ausgewählten historischen Themen vertieft und problemorientiert auseinander setzen. Es geht nicht um den Erwerb eines möglichst vollständigen Wissenskanons, sondern um eine „Inselbildung“ von Wissensbeständen (vgl. Literaturhinweise: Sauer, Methodenkompetenz, S. 184 ff.).

2.1.2 Themenwahl: Vermittlung historischer Grundeinsichten

Das Sachwissen über die Vergangenheit verfolgt keinen Selbstzweck und muss auch nicht zwingend in einer chronologischen Reihe angeeignet werden. Die Themen sollten so gewählt werden, dass historische Grundeinsichten und Erfahrungen (z. B. Prinzip von Kontinuität und Wandel, vgl. Orientierungskompetenz) vermittelt werden können. Das Lernen über den Weg, wie historisches Wissen zu Stande kommt, bildet die Basis aller historischer Grundeinsichten.

  •  Auswahlkriterien
    • Wissen über den Weg der Rekonstruktion von Vergangenheit: Die Themenwahl richtet sich daher prinzipiell vor allen Dingen danach, ob die Quellenlage es zulässt, Methodenkompetenz zu vermitteln.
    • Wissen über die Vergangenheit und lebensweltliche Relevanz
  • Die Themenwahl orientiert sich an den folgenden Gesichtspunkten:
    • Bei der Themenbehandlung sollen charakteristische Merkmale einzelner Epochen vermittelt werden: Lebensformen, Denkweisen, Herrschaftsverhältnisse.
    • Darüber hinaus sollen Abläufe, Ursachen und Folgen von einigen Ereignissen und Prozessen, auch aus der eigenen Lebensgeschichte der Kinder thematisiert werden.
    • Das regionalgeschichtliche Prinzip bildet aus didaktisch-methodischen Gründen nach wie vor einen wesentlichen Grundsatz. Einerseits besteht die Möglichkeit, den Weg der historischen Erkenntnisgewinnung (Methodenkompetenz) anhand von originalen Quellen projektartig zu erproben. Andererseits kann das Charakteristische der einzelnen Epochen an lebensrelevanten Erscheinungen im Nahraum erarbeitet werden.
    • Ebenso können aber auch Themen aus zeitlich-räumlich den Kindern fernen Bereichen als Gegenstand historischen Lernens in Betracht kommen. Denn als Auswahlprinzip gilt die lebensweltliche Relevanz von Themen (im Sinne der didaktischen Netze, vgl. Literaturhinweise: Kahlert, Die historische Dimension, S. 84-91).

2.1.3 Strukturieren und Systematisieren – die Zeitleiste

Die erworbenen „Wissensinseln“ sollten in eine chronologische Ordnung gebracht werden. Die Zeitleiste ist hier das probate Mittel, um die unanschauliche Vorstellungen von Ausschnitten aus der Vergangenheit in ein anschauliches, optisch-räumliches Nacheinander zu übersetzen.

Die Kinder erklären die zeitliche Abfolge historischer Phänomen zunächst mit relativen Begriffen (früher – später), dann aber auch mit den Fachbezeichnungen für die historischen Epochen (Vor- und Frühgeschichte, Antike, Mittelalter, Neuzeit, neuere und neueste Geschichte, Zeitgeschichte).

Auch die zeitliche Begrenzung dieser Epochen und epochentypische Merkmale sollten die Kinder im Laufe der Grundschulzeit kennen lernen.

Zusammenhänge zwischen den chronologisch an der Zeitleiste eingeordneten Fakten und Ereignissen versucht man bewusst zu machen.

2.2 Methodenkompetenz

Der systematische Erwerb von Methodenkompetenz gilt als wichtigstes Teillernziel historischen Lernens in der Geschichtsdidaktik.

Wichtiger als das Lernen von Wissen über die Vergangenheit ist das Lernen von Wissen über den Weg der Rekonstruktion von Vergangenheit und über den Umgang mit Geschichte.

Wenn die Kinder dazu geführt werden sollen, reflektiert mit Geschichte umgehen zu können, müssen sie zunächst wissen, wie methodisch kontrolliertes Wissen über die Vergangenheit als Geschichte zustande kommt. Es geht also darum den SchülerInnen zu zeigen,

  • wie ein Historiker („Vergangenheitsforscher“) zu abgesichertem Wissen über die und zu Deutungen der Vergangenheit kommt und
  • wie er diese Ergebnisse möglichst objektiv präsentiert.

In einem nächsten Schritt sollten die Kinder lernen, wie man mit Formen der Geschichtskultur kritisch umgeht (z. B. mit historischen Stadtjubiläen, Mittelalterfesten, Museen).

2.2.1 Wie kann man Methodenkompetenz grund legen?

Der induktive Weg des forschend-entdeckenden Lernens stellt die ideale Form historischen Lernens in der Grundschule dar. In elementarer Weise spiegelt das unterrichtliche Vorgehen das methodisch rationale Verfahren der Geschichtswissenschaft. Jedoch nicht mit dem Ziel einer Wissenschafts-Propädeutik, sondern wegen der lebensweltlichen Nutzbarmachung dieser Erkenntnisse.

Auf einer Metaebene reflektieren die SchülerInnen beim historischen Lernen immer wieder über den Weg der Erkenntnisgewinnung mittels Quellen und über die damit verbundenen Probleme.

Die Lehrkraft legt die Lernprozesse mit einer vorher getroffenen Auswahl an Quellen an, die den Kindern subjektiv als neu gefundene Quellen erscheinen. Historisches Lernen geschieht in einem ständig sich weiter entwickelnden Prozess von Problemfrage und Lösungsmöglichkeiten. Eine Grundvoraussetzung dafür ist es, dass die Lehrkraft die Grundeinsichten der historisch-kritischen Methode kennt.

Als Einstieg für den Erwerb von Methodenkompetenz eignen sich Themen aus der Lebensgeschichte der SchülerInnen bzw. Themen aus dem Umkreis der Kinder mit sehr guter Quellenlage (z. B. „Wir erforschen die Vergangenheit unserer eigenen Schule“, vgl. Literaturhinweise: Fenn, Geschichte).

2.2.2 Welche Teillernziele sollen im Laufe der Grundschulzeit grund gelegt werden? (vgl. auch Erkenntnistheoretische Grundlagen)

  • Unterscheidung von Vergangenheit und Geschichte:

    Die Vergangenheit ist unwiederbringlich vorbei. Das, was man jetzt versucht über die Vergangenheit in die Erinnerung zu rufen, nennt man Geschichte. Geschichte ist ein gedankliches Konstrukt.
  • Quellenbegriff kennen lernen:
    • Was ist eine Quelle?
      Es sind alle die Dinge und Phänomene, die aus der Zeit, an die man eine Frage hat, noch übrig geblieben sind.
    • Welche Quellengattungen gibt es?
      Die großen Hauptgruppen sind schriftliche, bildliche und gegenständliche Quellen. Daneben gelten auch Zeitzeugenberichte und tradierte Verhaltensweisen als mündliche bzw. abstrakte Quellen.
  • Historisch-kritische Methode kennen lernen:
    Nur über die Rekonstruktion mittels Quellen kann man zu einer objektiven Geschichte kommen.

2.2.3 Wie geht man kontrolliert mit Quellen um?

Die historisch-kritische Methode in Grundzügen kennen lernen: Suche nach Quellen (Heuristik), Untersuchung der und Informationsentnahme aus den Quellen (Kritik), Vergleich von Quellen und Schlussfolgerungen ziehen (Interpretation); hieraus ergibt sich die Darstellung von Vergangenheit in Form von Geschichte.

Je nach Lernziel wird die Lehrkraft situativ aus der folgenden Sammlung von Formen des fachspezifischen Umgangs mit Quellen eine Auswahl treffen; weder Vollständigkeit noch die angegebene Reihenfolge sind wesentlich (vgl. Literaturhinweise: Baumgärtner, Textquellen, S. 361 f.):

  • eine Fragestellung entwickeln (vgl. Heuristik): Die Schülerinnen und Schüler überlegen, was sie herausfinden wollen.
  • Quellen sammeln und zusammenstellen (vgl. Heuristik): Zu einer Fragestellung sammeln sie Zeugnisse und ordnen sie (z.B. nach den Kriterien schriftlich – nicht-schriftlich oder Überrest – Tradition).
  • Quellen untersuchen und beschreiben (vgl. äußere Kritik): Die Lernenden betrachten die gefundenen Zeugnisse in ihrer Beschaffenheit (bei schriftlichen Quellen: verschiedene Schriftarten, äußere Form, Größe, Stempel, Gebrauchsspuren, verschiedene Papierarten; Papier gegenüber Pergament usw.); sie vollziehen ihre Herkunft nach usw.
  • Quellen befragen, enträtseln und verstehen (vgl. innere Kritik): Die Quellen werden ggf. unter Mithilfe von „Experten“ in ihrer je eigenen Leseweise „entziffert“ (bei schriftlichen Quellen: alte Schriften, fremde Sprachen) und im Hinblick auf das eigene Erkenntnisinteresse befragt (Was erfährt man? Was erfährt man nicht?)
  • Quellen vergleichen und gegeneinander abwägen (vgl. innere Kritik, Interpretation): Zwei Quellen zu einem Sachverhalt werden z. B. gegenübergestellt (Was sagt die eine Quelle aus, was die andere verschweigt? Gibt es Widersprüche? Welche Quelle ist glaubwürdiger?).
  • Quellen auswerten (vgl. Interpretation)
  • Die aus Quellen erschlossenen Informationen werden in eine Darstellungsform übertragen; Pläne und Modelle erstellt, Zeittafeln zusammengestellt, Situationen nachgestellt.

2.2.4 Welche Probleme können bei der Arbeit mit Quellen entstehen, was ist zu berücksichtigen?

Um den Quellenwert beurteilen zu können, ist jede Quelle danach zu befragen: Wer hat was, warum und zu welchem Zweck hinterlassen? (Tradition und Überrest). Jede Quellengattung erfordert eine besondere Zugriffsweise. Das Ergebnis hängt stark von der Quellenlage ab.

2.2.5 Wie stellt man die Forschungsergebnisse objektiv dar?

Es sind die verwendeten Quellen anzugeben, um offensichtlich (im intersubjektiven Diskurs überprüfbar) zu belegen, wie man zu einer Interpretation kommt.

  • Vergleich der eigenen Geschichte mit den Geschichten anderer:
    Die Darstellung hängt ab von der Sichtweise, den Fragestellungen und vom Vorwissen des Historikers, aber auch von den benutzten Quellen vom Adressaten und vom Zweck, den er mit der Präsentation verfolgt.
  • Formen der Geschichtskultur kritisch hinterfragen lernen:
    Es gibt im Alltag zahlreiche Möglichkeiten, Geschichte zu vermitteln (Historisches Kinderbuch, Film, CD-Rom, Spiel, Internet, Museum, Ausstellung usw.). Wie kann man hier belegbare, zuverlässige Darstellungen der Vergangenheit von undurchsichtigen Geschichten unterscheiden? Welche Intention verfolgt Geschichte? Werden Personen zu Helden stilisiert oder Ereignisse überhöht in ihrer Bedeutung dargestellt?

Beispiel:
Ein historisches Stadtjubiläum ist Gegenstand historischen Lernens. Hier kann man bewusst machen, dass Geschichte auch in erster Linie kommerziellen Zwecken dienen kann. Die objektive Darstellung von Vergangenheit wird oft nebensächlich, so dass mitunter auch mit schiefen Vorstellungen von Vergangenheit gerechnet werden muss (vgl. Fenn, Stadtjubiläen).

2.3 Orientierungskompetenz

Die Beschäftigung mit Geschichte und der Vergangenheit zielt darauf ab, Phänomene der Gegenwart besser zu verstehen, Probleme zu lösen oder das auf die Zukunft gerichtete Planen und Handeln zu steuern. Historisches Lernen dient der „historischen Sinnbildung“ (vgl. Literaturhinweise: Rüsen, Überlegungen, S. 83-85). Die folgenden Grundprinzipien historischer Erfahrung spielen dabei eine wichtige Rolle:

2.3.1 Grundprinzipien historischer Erfahrung

  • Zeitläufe sind von Kontinuität und Wandel geprägt.
    Es gibt im menschlichen Leben Strukturen, Mentalitäten und Verhältnisse, die sich im Laufe der Zeit kaum verändern.
    Sie können sich aber auch wandeln. Dabei sind menschliche Einflussnahmen möglich. Veränderungen können jedoch genauso aufgrund von Passivität entstehen. Die Menschen sind für ihr Handeln bzw. Nicht-Handeln selbst verantwortlich. Die Absicht und das Ergebnis menschlichen Handelns können auseinander liegen, weil es oft aus verschiedenen Gründen unbeabsichtigte Nebenwirkungen gibt.
  • Fremdheit der Vergangenheit
    Bestimmte Phänomene der Vergangenheit haben sich im Laufe der Zeit so stark verändert oder aufgehoben, dass sie uns heute fremd erscheinen. Es gilt, innerhalb des historischen Lernens diesem Fremden zu begegnen und dieses aus den Verhältnissen der Zeit heraus zu verstehen. Aus diesem Verständnis für Sachverhalte der Vergangenheit kann sich auch eine Toleranz gegenüber und eine Akzeptanz von uns fremden Erscheinung in der Gegenwart, z. B. hinsichtlich der Religiosität, Kultur und Mentalität anderer Menschen entwickeln.

2.3.2 Orientierung durch historisches Lernen

Verstehen des Gewordenseins der Gegenwart aus der Vergangenheit

Das grundlegende Bewusstsein, dass das Gewordensein und das Besondere der Gegenwart nur durch die Folie der Vergangenheit umfassend verstanden werden kann, ist auf jeden Fall schon den GrundschülerInnen vermittelbar.

Inhalte der Vergangenheit auf die Gegenwart beziehen

Schwieriger gestaltet sich ein Transfer von Erfahrungen der Vergangenheit auf die Gegenwart.

  • Den Kindern muss klar werden, dass eine kongruenter Transfer von Vergangenheit auf die Gegenwart (im Sinne von „historia magistra vitae“) nicht möglich ist. Denn es ist unabdingbar, die andersartigen Voraussetzungen und Lebensumständen in der Vergangenheit zu berücksichtigen. Insofern kann man gewisse Gesetzmäßigkeiten übertragen, doch bleiben immer Differenzen bestehen.

    Beispiel: Im Unterricht wurde der folgende historische Wissensbestand gewonnen: Ein im 19. Jahrhundert geschaffener Bahnanschluss hat die wirtschaftliche Bedeutung eines Ortes erhöht. Eine aktuelle Frage lautet: Soll die Transrapid-Strecke gebaut werden? Ähnlichkeit mit der historischen Erfahrung: Der Bau könnte die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt steigern; Differenz: Die Fragen des Umweltschutzes spielten damals noch keine bedeutende Rolle. Die Entwicklungskosten könnten leicht den Nutzen übersteigen.
  • Da die Kinder nur auf einen begrenzten Vorrat an historischem Wissen zurückgreifen können, muss die Lehrkraft unterstützend wirken, indem sie auf historische Bezüge hinweist. Die Fraghaltung „Gibt es vergleichbare Erfahrungen von früher“ gilt es grund zu legen (vgl. Literaturhinweise: Schreiber, Sinnbildungskompetenzen, S. 72).


Nutzen historischer Arbeitsformen an sich

Auch die beim historischen Lernen erworbenen Arbeitsformen als solche können zur lebenspraktischen Orientierung beitragen, z. B.:

  • Wandel und Kontinuität hängen von vielen Faktoren und Voraussetzungen ab. Genauso hängen auch Geschehnisse der Gegenwart mit vielen Dingen zusammen und können deshalb nicht einlinig erklärt werden.
  • Wie bei der Rekonstruktion von Vergangenheit verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen sind, gilt es auch in der Gegenwart, die Sichtweisen anderer wahrzunehmen.
  • So wie in einer Darstellung von Vergangenheit quellenmäßig die Aussage belegt werden muss, sollten auch Berichte und Thesen heute bewiesen werden.
    Ein kritisch-reflektierter Umgang mit Formen von Geschichte sensibilisiert also letztendlich auch im Umgang mit anderen medialen Vermittlungsformen.

2.3.3 Voraussetzung

Voraussetzung für eine gelingende Orientierung ist es, dass die Lernprozesse an bereits vorhandene Wissensbestände anknüpfen und das im Unterricht erworbene Wissen durch gezielte Strukturierung in die vorhandenen Wissensbestände eingeordnet wird (vgl. Literaturhinweise: Weinert, Neue Unterrichtskonzepte). Dies gelingt leicht mit Themen aus der eigenen Lebensgeschichte der SchülerInnen, da die eigene biographische Erfahrung den Kindern nah und bedeutsam erscheint. Überdies kann hier Methodenkompetenz sehr anschaulich in ersten Ansätzen grund gelegt werden (z. B. „Wir erinnern uns an unseren ersten Schultag“).